Die Geschichte der Erschießung von drei sowjetischen Parlamentären: Unterschied zwischen den Versionen

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G.-Dieter Bietz, 03.05.2015
 
G.-Dieter Bietz, 03.05.2015
 
==Schlussbemerkung==
 

Version vom 16. Juli 2022, 12:18 Uhr

Einleitung

Kaum ein Ereignis aus den letzten Kriegstagen hat so kontroverse Diskussionen und Nachforschungen ausgelöst, wie die Erschießung von drei sowjetischen Parlamentären. Der Tatort soll bei den Weberhäusern am Ortsausgang nach Hangelsberg gewesen sein und die Erschießung soll vom Stadtkommandanten befohlen worden sein.

Im Grund gibt es auf der Grundlage von Zeitzeugenbefragungen und Nachforschungen in verschiedenen Archiven zwei Versionen. Die Nachforschungen von Alfred Wegewitz kommen zu dem Schluss, das diese Erschießung nicht stattgefunden haben kann, weil es keinerlei Hinweise in Militärarchiveb darauf gibt. Die Nachforschungen von Gerd-Dieter Bietz - ebenfalls Hobbyhistoriker und beschäftigt mit der Militärhistorie der Stadt - ergeben, dass die Ermordung der Parlamentäre eher wahrscheinlich ist und der fehlende Nachweis aus Archiven nicht zwingend die Schlussfolgerung erlaubt, dass Zeitzeugenberichte eher Lenden und somit zweifelhaft sein.

Beide Versionen werden hier erläutert und zeigen, dass der Umgang der Historiker mit Zeitzeugenberichten und Archivunterlagen nicht ganz einfach ist und eben auch neben den Fakten, vergleichende Überlegungen mit zur Ergebnisbildung beitragen müssen.

Version Alfred Wegewitz

Zur Frage der Ermordung von Parlamentären am 20. oder 21.April 1945 in Fürstenwalde

Tatsachen Oder Gerücht - von Alfred Wegewitz

Auskunft des Militärarchivs Podolsk

Nach dem Eingang der Auskunft des zentralen Militärarchivs der russischen Förderation Podolsk vom 25.1.2008 , wonach in den Kriegstagebüchern der sowjetischen Einheiten , die am Sturm auf Fürstenwalde beteiligt waren , keine Hinweise auf einen derartigen Vorgang am 20.oder 21.April 1945 zu finden ist , bedarf dieses Thema einer zusammenhängenden Darstellung.

Übersetzung Im Archiv MO RF wurde das Schreiben von Herrn Wegewitz mit der Bitte, etwas über die Tatsache der Erschießung von Parlamentären durch deutsche Soldaten während des Sturmes auf die Stadt Fürstenwalde herauszufinden , bearbeitet.

Nach der Dokumentation wurde festgestellt, daß die Stadt Fürstenwalde am 22.April 1945 von Truppen des 25.Schützenkorps der 69.Armee des 1.Weissrussischen Front in der Zusammensetzung : -117.und 41. Schützendivision; -33. Schweres Garde Panzerregiment, -ein Teil der 12.selbstfahrenden Artilleriegeschütz Brigade, -1205. selbstfahrendes Artilleriegeschütz Regiment befreit wurde..

Die 41. Schützen Division (139., 244., 102.Schützenregimenter) hat im östlichen Teil Fürstenwaldes gekämpft. Die 117. Schützendivision (240., 275., 820.Schützenregimenter) marschierte in die Stadt von Norden ein. Die 1205. Pionier Brigade und die 33.Garde Brigade kämpften zusammen mit der 41.Schützendivision. Die 12. Pionierdivision mit der 117.Schützendivision.

In Dokumenten der oben genannten Militärteile und Gruppierungen, so wie in den Dokumenten des 25.Schutzenkorps und der 69.Armee sind Informationen über eine Erschießung von Parlamentären am 20. oder 21.April 1945 nicht vorhanden.

Es stehen sich nunmehr zwei Tatsachenbehauptungen - dem Anschein nach unvereinbar – gegenüber.

Die Auskunft aus Podolsk scheint zu klären, daß ein solches Kriegsverbrechen im April 1945 in Fürstenwalde nicht stattgefunden hat. Es wäre ziemlich unwahrscheinlich, daß ein derart schwerwiegender Vorgang in den Kriegstagebüchern der im Kampf um Fürstenwalde verwickelten russischen Einheiten keinen Niederschlag gefunden hätte.

Meines Erachtens sollte man aber andere Quellen, die über diesen Vorfall - z.T. sehr detailliert –berichten , nicht völlig unerwähnt lassen.

Jedoch - wenn man die damalige Situation in Fürstenwalde unter dem Gesichtspunkt betrachtet, welche verläßlichen Zeugnisse über militärische Vorgänge zu erwarten wären -, wird man zu der Schlußfolgerung kommen müssen, daß schriftliche oder gar fotografische Dokumente nicht existieren dürften und als schlüssige Beweismittel präsentiert werden könnten.

Die deutsche militärische Organisation war in der zweiten Aprilhälfte 1945 weitgehend zusammen gebrochen. Eine Dokumentation ihrer Handlungen , z.B. in Form von Kriegstagebüchern , gab es kaum mehr , zumindest was die im Raum Fürstenwalde eingesetzten Verbände betrifft. Diese Truppen selbst waren meistens zusammengewürfelte , ad hoc aufgestellte , kleinere Einheiten , die sich sehr rasch wieder auflösten , wenn sie unter dem Druck der sowjetischen Angriffen den Rückzug antreten mußten. Der in Fürstenwalde aus einheimischen älteren Männern gebildete und eingesetzte Volkssturm hatte erst recht nicht eine Struktur , die irgend eine Dokumentation seiner Aktionen durchführte, geschweige denn der Nachwelt überlieferte.

Also kann man nur erwarten, daß individuelle Zeitzeugnisse , wie Tagebuchaufzeichnungen , zeitnah niedergeschriebene Berichte oder Erinnerungen von heute befragten Zeitzeugen ein wenig Licht in die damaligen Vorgänge bringen könnten.

Es ist ein Fakt , daß über eine Ermordung von Parlamentären in Fürstenwalde zu dem genannten Zeitpunkt in einigen Berichten gesprochen wird.

Dabei werden erstaunlich genaue Einzelheiten genannt:

-Der Tatort: eine Panzersperre „bei den Weberhäusern“ am Ortsausgang in Richtung Hangelsberg

-Der Tatverlauf: eine Gruppe von 3 russischen Soldaten mit einem Trompeter, überqueren zunächst die Frontlinie unbeschädigt und bringen ihr Anliegen an den deutschen Stadtkommandanten, die kampflose Übergabe der Stadt an die russische Armee zur Vermeidung weiterer Opfer vorzunehmen den deutschen Soldaten der Besatzung der Panzersperre vor. Der Stadtkommandant soll davon Kenntnis erhalten haben. Von ihm soll der Befehl zur Erschießung der Parlamentäre ausgegangen sein.

-Die Tat : Die Schüsse deutscher Militärs auf die Parlamentäre.

Zeitzeugen

1. Das in meinen Augen älteste und zeitnaheste Zeugnis über diesen Vorfall , das einen Hinweis über die Übergabeaufforderung enthält und weitere Deutungen zuläßt , ist ein höchstwahrscheinlich im August 1945 nieder geschriebener Bericht der Frau Margarete Baetge. Zitat: „Was aber ließ man in dieser totwunden Stadt noch zurück? „Volkssturmmänner„, die mit zitternden Händen die Panzerfaust hielten und den Feind fürchteten, weil niemand da war, der sie schützen oder decken konnte. Wehrmacht war nur noch einzeln vertreten, der Rest hatte sich mit den SS- und Polizeieinheiten „abgesetzt“, wie es so schön lautete. Was konnte diese Handvoll alter Männer in schlechten Ausrüstungen noch machen ? Den Feind aufhalten wäre Wahnsinn. Man nahm die Übergabeaufforderung des Feindes gelassen an. Die Befehlsgewaltigen in ihren Bunkern: Bürgermeister ,Polizeichef sowie Stadtkommandant gerieten in Meinungsverschiedenheiten , die damit endeten , daß der Bürgermeister auf geheimnisvolle Art beiseite geschafft wurde , weil er die Stadt retten wollte und eine Verteidigung für Wahnsinn hielt. Die SS befahl, der Stadtkommandant hatte genug Übung im Pistolenschießen und stand wie eine Bestie hinter den Volkssturmmännern, an den Panzersperren, die sich bereits bis zum Stadtring geschlossen hatten, um ihnen Mut zu geben. Sie gehorchten mechanisch , weil es eben kein Zurück mehr gab- ein grausames Spiel." (Aus dem Bericht der Margarete Baetge , Domarchiv)

Kommentar d Verf: Der gesamte , sehr emotionale Bericht einer äußerst gebildeten Frau in bilderreicher Sprache (5 ½ Schreibmaschinen- Seiten lang),enthält sehr viele Fakten, die auch in anderen Zeitzeugenberichten genannt werden. Z.B. „Die Stadt wechselte zweimal den Besitzer, weil später noch einige Soldateneinheiten aus den umliegenden Dörfern in den Kampf gedrängt wurden.“

Der Bericht kann daher als weitgehend authentische Darstellung eingeschätzt werden.

Die hier wiedergegebene Passage wird von mir dahin gedeutet : - daß es eine Übergabeaufforderung der russischen Angreifer gegeben hat - daß einige Soldaten bzw. Volkssturmleute an einer Panzersperre diese Aufforderung zur Kapitulation zumindest wohlwollend entgegen genommen hatten - daß nach einer Auseinandersetzung der „Befehlsgewaltigen“ der Stadtkommandant mit der Pistole in der Hand die Fortsetzung der Kämpfe an der Panzersperre erzwungen hat.

Über den Stadtkommandanten (Verteidigungskommandant) berichtet der Zeitzeuge K.Cittlau, damals Offizier der Aufkl.- Ersatz Abt.9 im Jahre 1965: „Dort (an der Straße nach Rauen) erlebte ich nebenbei ,daß die Herren von der Armee den Verteidigungskommandanten(er lag, dem Zusammenbruch nahe, auf einer Liege), vernahmen, warum die Stadt geräumt, besser gesagt ,aufgegeben worden ist. Die Stadt Fürstenwalde mußte wieder im Angriff erobert werden.“ (Manuskript: Geschichte des Kavallerie Regiments 9,Major i.G.Schröder )

Kommentar d.Verf.: Es ist anzunehmen, daß der vorher Pistolen schwingende Verteidigungskommandant wußte , daß er jetzt dem Tode geweiht war. Einfache Soldaten, die als Deserteure aufgegriffen wurden , hängte seinerzeit die Feldgendarmerie ohne Prozeß auf. Als Stadtkommandant hatte er gegen den Grundsatz-Befehl zur Verteidigung der Hauptstadt vom 9.März 1945 verstoßen.

„Die Reichshauptstadt wird bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone verteidigt“

Das konnte nach den damaligen Vorstellungen mit seinem Tode geahndet werden.

(Original des Grundsatzbefehls des OKW vom 9.März 1945  :Archiv VMSSSR; Fonds 6598,Liste 801858,Akte 187,Bl.12 ff)

General d. Infanterie Th. Busse ,Befehlshaber des AOK 9, hatte am 20.4.45 den ganzen Tag über vom OKH die Zurücknahme des vorspringenden Fronteils Frankfurt(O) gefordert , um mit den freiwerdenden Frankfurter Kräften die sowjetischen Einheiten vor Fürstenwalde zum Stehen bringen zu können. Hitler war jedoch in der Lagebesprechung vom 20. zum 21.4. immer noch nicht zur Aufgabe Frankfurts zu bewegen. (Wolfgang Buwert : Vortrag von 1990 in “Wir waren damals 19“ Herausg. RAA Frankfurt(O))

Kommentar d.Verf. Es gibt im Falle des Befehls zur Rückeroberung Fürstenwaldes einen direkten Zusammenhang mit dem Beharren Hitlers auf die weitere Verteidigung der Festung Frankfurt(O) . General Busse ordnete, wahrscheinlich innerlich widerstrebend, aber trotzdem „in preußischem Kadavergehorsam stehend“ , den – wie aus heutiger Sicht erkennbar - sinnlosen Angriff auf das geräumte Fürstenwalde an. Seine Offiziere , die den Stadtkommandanten verhörten und wahrscheinlich bestraften , setzten den Willen des „Führers“ durch .Hier wurden – was alle Befehlshaber wußten und wissen mußten - viele Soldaten ,Volkssturmmänner , aber auch Zivilisten regelrecht „verheizt“

Was auf diesen höheren Befehlsebenen in diesen Tagen an unverantwortlichen Entscheidungen in Bezug auf Fürstenwalde erging ,macht verständlich , daß auch an den Fürstenwalder Panzersperren entsprechend dem „Grundsätzlichen Befehl vom 9.3.1945 „ alles möglich war , auch das Kriegsverbrechen der Erschießung von Parlamentären.

2. Der Bericht des Zeitzeugen Ewald These sagt klar: Zitat: „Am Freitag Abend , (20.4.45) kam der Dolmetscher (der sowj.Panzertruppe, die am 19.4.vor seinem Grundstück im Heideland erschienen war) erneut zu mir und überbrachte folgenden Auftrag: Ich solle den Einwohnern mitteilen – nach dem das Ultimatum , die Stadt kampflos zu übergeben, nicht angenommen, und die Parlamentäre an der Straßensperre in Fürstenwalde erschossen wurden – sind alle Vorbereitungen getroffen, die Stadt im Angriff zu nehmen. Es sei ratsam für die im Heideland wohnenden Bürger , sich in eine weniger gefährdete Zone zu begeben.“ (Archiv des Stadtmuseums Fürstenwalde )

Ewald These war 83 Jahre alt, als er seinen Lebensbericht etwa 1965 der Geschichtskommission der Fürstenwalder Kreisleitung der SED übergab. Er war bereits vor 1933 Mitglied der KPD und hatte bei der ersten Begegnung mit einem russischen Offizier diesem ein gegen ihn ergangenes Strafurteil vorgelegt , das seine antifaschistische Vergangenheit belegte .Dadurch glaubte er, das Vertrauen der russischen Soldaten erworben zu haben . Sein Bericht ist sachlich und enthält eine Reihe von überprüfbaren Fakten.

3. In seinem 1965 erschienenen Buch: „Die große Wende in einer kleinen Stadt“ schildert der Autor Becker, der im April 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht als Bürgermeister der Stadt Storkow eingesetzt worden war, den Vormarsch der sowjetischen Armee über Fürstenwalde nach Storkow stoppen zu wollen.

Als die Parlamentäre – man hatte sie herankommen lassen und mit ihnen gesprochen. Zitat: „Aus solchen Rücksichten (Schonung der Bevölkerung) schickte das Kommando der Roten Armee , als seine Einheiten vor Fürstenwalde standen, drei Parlamentäre mit der international anerkannten weißen Fahne zu dem faschistischen Kommandanten. Sie gelangten zunächst unbehelligt bis in die Stadt. Doch dann setzte plötzlich ohne Anruf ein Feuerüberfall ein. Alle drei Parlamentäre sanken blutüberströmt lautlos zu Boden.„ ( Becker:“ Die große Wende einer kleinen Stadt“ S. 20)

4. Der Autor Richard Schulz, der die „Quellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung „im Auftrage und als Leiter der historischen Kommission der Kreisleitung der SED Fürstenwalde im September 1965 verfaßte, stellt die Erschießung der Parlamentäre ebenfalls dar. Er bezieht sich allerdings auch auf das Buch von Becker. Er benennt noch weitere Einzelheiten , wie Zitat: „In den Morgenstunden des 22.April 1945. Vor der Panzersperre in der Rüdiger von Massow Straße in der Höhe des Weges zur heutigen HO-Gaststätte „Spreegarten“ erschienen drei Parlamentäre mit weißer Flagge und Hornisten , die den Wunsch äußerten, den Festungskommandanten zwecks Übergabeverhandlungen sprechen, das gesagt hatten , wurde auf sie das Feuer eröffnet, die drei entweder niedergeschossen oder getötet. Es steht nicht fest, ob es sich bei den Mördern um Waffen –SS ,Wehrmacht oder Volkssturm gehandelt hat.“ (Quellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung S. 29 Archiv Stadtmuseum)

Richard Schulz beließ es nicht bei dem ausdrücklichen Zitieren des Buches von Becker . Vielmehr befragte er den Kreis der ihm bekannten „Veteranen“.

Willi .Zernike, Frieda Zernike, W.und G. Kranewitz bestätigten ihm am 1.10.beziehungsweise 3.10.1965 handschriftlich diesen Hergang des Vorfalls.

Zitat: „Es stimmt, was F. Becker in seinem Buch über Storkow angibt "Es wurden 3 Parlamentäre erschossen. Es geschah v. d. Panzersperre i.d. heutigen Dr. W. - Külz Str., dort, wo von der Stadt der Weg links zur HOG Spreegarten abbiegt. 1.10.65 gez. W. Zernike, F .Zernike „ (Quellen, Bericht Zernike,S.11 )

(Die Eheleute Zernike und Kranewitz hatten die Eroberung Fürstenwaldes durch die Sowjetische Armee in der Stadt selbst erlebt. Willi Zernike wurde noch am 22.4.1945 vom russischen Stadtkommandanten zum Bürgermeister bestellt und übte diese Funktion längere Zeit aus.

5. Die Befragung von Zeitzeugen im März 2008 ergab folgendes Bild: Alfred Borkowski: “Ich war seit August 1945 wieder in Fürstenwalde :Mein Onkel war Bezirksbürgermeister .Er hat nichts derartiges erzählt. Ich habe nichts von Parlamentären gehört.“ Dora Kyris : „Ich war immer in Fürstenwalde geblieben, versteckt in einem Gartenbunker im Kiefernweg. Von den Parlamentären habe ich nichts gehört.“ (Borkowski und Kyris waren von 1933-1938 meine Klassenkameraden in der Volksschule.)

Günter Muth: “Meine Mutter war mit Frl. Klaue, Eisenwarengeschäft, Mühlenstraße und Frau Hertha Schreier ,Elektrowarengeschäft befreundet. Ich erinnere mich an Gespräche dieser Frauen mit meiner Mutter. Das Westtor( Panzersperre Weberhäuser) war von SS besetzt. SS-Offiziere erschossen die russischen Parlamentäre. Deshalb haben die Russen die Innenstadt angezündet. Frl. Knauf hat aus ihrem Fenster gesehen ,wie die Russen mit Benzinkanistern in der Mühlenstraße Feuer gelegt haben. Ich war seit dem 16.5.1945 wieder in Fürstenwalde.“ (Günter Muth, Lindenstraße 77.)

Gerda Schäfer, Erika Schulz: „Wir haben nichts von diesem Gerücht gehört.“ (Gerda Schäfer und Erika Schulz waren Häftlinge des Internierungslagers Ketschendorf und sind im Mai 1945, nachdem sie das Kriegsende in Fürstenwalde überlebt hatten , von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und jahrelang ohne Gerichtsverfahren festgehalten worden)

Der ehem. Fürstenwalder Museumsdirektor und studierte Historiker Dr.Peter Cheret (im Juli 2008 verstorben) schrieb am 19.9.1986 an die SED-Kreisleitung Abt. Agitation und Propaganda – im Zusammenhang mit der Arbeit der Kreiskommission zur Erarbeitung der Geschichte der Arbeiterklasse in Fürstenwalde, die er als Nichtgenosse (!) leitete - „Es gibt keine Zeugen und keine eindeutigen Belege für die Erschießung sowjetischer Parlamentäre in Fürstenwalde“ Diese bewußt lakonische Antwort erfolgte vermutlich, um dem Drängen der Abt. Agitation und Propaganda Einhalt zu gebieten, aus diesem angeblichen Ereignis Argumente zu gewinnen. (Quelle:Ordner:Kreiskommission zur Erforschung der örtl.Arbeiterbewegung im Stadtmuseum)

Ende Juni 2009 besuchte ich die Gedenkstätte Seelower Höhen , um dort weitere Zeitzeugenberichte einzusehen.. Dabei fand ich u.a. den Bericht des ehem.Leutnants Armin Engel (Jahrgang 1923) aus 67806 Rockenhausen , der in dem Buch: „Endstation Oderfront“ von Gerald Ramm über seine Erlebnisse als Soldat in Fürstenwalde berichtet. Er war am 18.4.1945 durch Zufälle in die Rolle des Befehlshabers an der Panzersperre Weberhäuser in der Hangelsberger Chaussee gelangt und verließ diese Stellung etwa am 21.4..1945 als letzter deutscher Soldat. (Zitate aus diesem Bericht in „Ich sah den Dom brennen Teil II)

Ich übersandte Herrn Engel den Entwurf dieses Textes , mit der Bitte , sich zur Frage des Wahrheitsgehaltes des Gerüchtes von den russischen Parlamentären , die an dieser Straßensperre erschienen wären , zu äußern.

Er schrieb mir am 30.6.2009 : „Doch zu Ihrer Hauptfrage , der Erschießung von Parlamentären: Davon ist mir nichts bekannt. Man muß wissen, daß so ein kleiner Leutnant wie ich kaum Verbindung zu höheren Chargen hatte. Doch meine ich, daß sich ein solches Vorkommnis unter den Offizieren herumgesprochen hätte. Darüber hinaus meine ich, daß es in diesen Tagen der Russe kaum nötig gehabt hätte sich durch Parlamentäre mit deutschen Stellen in Verbindung zu setzen. Im übrigen muß man sich vorstellen, daß diese Tage in völligem Chaos endeten. Man hatte keine Kameraden mehr mit dem, Namen gekannt; es waren durcheinander gewürfelte Häufchen, die ohne rechte Waffen eine Stadt verteidigen sollten. Ich persönlich hatte meine Pistole, sonst nichts. Und die armen Volkssturmleute sollten mit unbrauchbaren Gewehren oder mit Panzerfaust den Feind aufhalten. Einen General hatte ich zwar noch mal bei einer Offiziersbesprechung zu sehen bekommen, doch ein Name wurde nicht mehr genannt. Von einer Führung oder einer Konzeption zur Verteidigung konnte keine Rede sein. Das war die Lage.“ (Quelle:Brief des Herrn Armin Engel, Ringstr.18, 67806 Rockhausen vom 30.06.2009 an den Verf)

Zusammenfassende Schlussfolgerung Alfred Wegewitz

Zusammenfassend glaube ich nunmehr feststellen zu können :

Es handelt sich um ein Gerücht , daß deutsche Soldaten (gleich welcher Coleur) an der Panzersperre nahe den Weberhäusern zwischen dem 20. und 21. April 1945 russische Parlamentäre erschossen haben sollen !

Fürstenwalde , den 3.7.2009

Einlassung Gerd-Dieter Bietz

Nochmal zum Thema Parlamentäre

Grundlage für meine Recherchen und daraus abgeleitete Schlußfolgerungen sind Informationen aus Zeitzeugenberichten, aus fachlichen Veröffentlichungen und Ergänzungen aus Internetforen (damit sind keineswegs Wilkipedia und allgemein unter Google und ähnl. veröffentlichten Beiträge – in Internetforen ist man angemeldeter Benutzer).

Ich möchte nur einige wenige Stichpunkte aufführen:

Berhardinum Projektarbeit unter Betreuer Prof. Dr. Jürgen Hofmann: Für Fürstenwalde dauerte der Krieg noch bis 22. April….Einheiten der Wehrmacht, der Waffen-SS und des Volkssturms sollten die Stadt halten…Major Jordan und der NSDAP-Ortsgruppenleiter organisierten die sinnlose Verteidigung.Versuche, die Stadt kampflos zu übergeben, scheiterten.

Ewald Tese Am Freitag wurde Großalarm gegeben, weil die Rote Armee bereits bis zu den Buchholzer Höhen vorgedrungen sei….Am diesem Tag traf ich mit Oberstleutnant Barkowski der Panzereinheit zusammen. Dessen Panzer kamen über die Weinberge direkt in das Heideland…..Am Freitag abend sollte ich den Auftrag den Einwohnern mitteilen (Heideland zu verlassen), …nachdem das Ultimatum, die Stadt kampflos zu übergeben und die Parlamentäre erschossen worden sein….alle Vorbereitungen getroffen, um die Stadt im Angriff zu nehmen…

Johannes Marquardt Do. 19.04.: …fanden wir die Panzersperren und Schützengräben im Park von Volkssturm und Truppen besetzt….

Margarete Baetge …man nahm die Übergabeforderung des Feindes gelassen an….Der Bürgermeister wurde auf geheimnisvolle Art beiseite geschafft, weil er die Stadt retten wollte…Die SS befahl….

R. Schulz berichtet über 3 Parlamentäre, die in der R.-v.-Massow-Str. erschossen wurden

Becker (hat vielleicht seine Kenntnis von Soldaten der Truppen, die über Fürstenwalde nach Storkow vorgerückt sind??) berichtet über Parlamentäre, die erschossen wurden.

W. und F. Zernicke, W. und G. Kranewitz bestätigen den Sachverhalt

Günter Muth: ….Pz.-Sperre Weberhäuser war von SS besetzt…

M: Weger: ….Sonntag 22.04. letztes Gefecht zwischen Volkssturm und Roter Armee im Stadtpark…

Dr. P. Cheret:… es gibt keine Zeugen und keine eindeutigen Beweise….

Ein Zeitzeuge in der Nähe des Ortes war der damalige Lt. Engel, der die gefallenen sowjetischen Soldaten begutachtete, wie er selbst schildert.

Ich bin kein Drehbuchregisseur, um eine filmreife Szene zu gestalten. Ich habe viele Fakten aneinandergereiht und verglichen und kann auch ausgehend von den Schilderungen mehrerer Personen durchaus die Meinung vertreten, daß die Situation, so gewesen sein kann. Ich beschreibe dies in der Möglichkeitsform, ich behaupte nirgends, daß es so war. Jedoch sollte man sich nicht davor verschließen, daß es mehr Indizien und Belege gibt, die für diese Situation sprechen und wenige, die dagegen sprechen.

Zu den über Fürstenwalde in Richtung Kessel von Halbe sich zurückziehenden Gruppierungen gehörten auch Teile von Waffen-SS-Verbänden. Die Gruppierungen verfügten über Funktechnik, die die Kommunikation untereinander ermöglichte. Das trifft übrigens auch auf die Rote Armee zu.

So ist durchaus auch die Kommunikation zwischen Pz.-Sperre und dem Kommandostand des Stadtkommandanten erklärbar.

Ich gehe weiterhin davon aus, daß die Parlamentäre von Einheiten nachgeordneter Verbände der 3. A oder des zugeordneten GardeKavallerieKorps entsandt wurden.

Anmerken möchte ich noch, daß es damals und heute noch unzählige Grabstellen sowjetischer und deutscher Soldaten mit der Aufschrift „Unbekannt“gibt. Mir ist nicht bekannt, daß die Soldaten der sowjet. Schützendivisionen überwiegend gerade eingezogene „Bauernburschen“ waren, zumindest hätten solche (wenn sie während der Auffrischung ostwärts der Oder zur Truppe gekommen sind) in den folgenden Tagen bestimmt unzählige „Feuertaufen“ (wie man so sagt) bestanden.

Mir ist nicht bekannt, wer in der Roten Armee befugt war, den Einsatz von Parlamentären zu befehligen und wer als Parlamentär auszuwählen war. Ich gehe auch davon aus, daß in der Dynamik des Kampfgeschehens auf beiden Seiten sehr viele Soldaten (egal welchen Dienstgrades) auf dem Gefechtsfeld tot zurückblieben und erst nach Kriegsende in die Erde gebettet wurden.

Weiter bleibt noch anzumerken, daß aus diesen Situationen heute keiner weiß, wer wo ein Kriegstagebuch führte, ob derjenige selbst den nächsten Tag noch erleben konnte und ob ein solches Tagebuch überhaupt tagtäglich geführt wurde. Das erkennt man übrigens auch an manch lückenhafter Darstellung über Handlungen und Situationen der Wehrmachtstruppen.

In der Ausstellung zum Kriegsende in Fürstenwalde formulierte ich übrigens zu diesem Punkt: „ An der Panzersperre… sollen Parlamentäre erschossen worden sein“ – ich stelle damit keine Behauptung auf, sondern bringe damit die Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Recherchen zum Ausdruck.

Die Absicht meiner langwierigen „Freizeitbeschäftigung“ ist es bestimmt nicht, Streit zu suchen oder zu entfachen, ich versuche möglichst sachliche Schilderungen zu entwickeln und stütze mich auf die vorhandenen Gegebenheiten. Wir haben beide zu diesem Punkt ähnliche und doch etwas unterschiedliche Meinungen und letztendlich hat doch jeder ein bißchen Recht – es kann so gewesen sein.

G.-Dieter Bietz, 03.05.2015